Ein Sonntagsspaziergang entlang der Panke: Der Hipster Highway
Neu im Wedding? Nur zu Besuch? Trotz Dezemberwetter mal mit dem Lopi-Pullover vor die Tür? Dann spaziere mit uns von der Gerichtstraße zur Badstraße entlang der Panke, sehe und werde gesehen.
Pankeweg
Die Panke ist nur fünf Minuten zu Fuß von unserem Laden entfernt. Entlang des Flusses kann man auf dem Pankeradweg von Mitte über Pankow bis nach Bernau in Brandenburg fahren – langsam natürlich, denn Fußgänger haben Vorrang. Wir spazieren heute auf dem Abschnitt zwischen Gerichtstraße und Badstraße, der nicht nur schöne Stadtnatur bereit hält, sondern auch architektonisch Abwechslungsreiches bietet.
Die Panke fließt auf dem 1,3 km langen Abschnitt an nicht weniger als fünf Baudenkmälern vorbei – dem ehemaligen Lessing-Gymnasium, dem Ex-Rotaprint Gelände, dem Amtsgericht Wedding, den Uferhallen und den Uferstudios. Sogar im Winter lässt sich einiges entdecken und unterwegs auf ein wärmendes Getränk sowie leckeres Essen einkehren. Der Pankeweg ist teilweise nicht gepflastert, festes Schuhwerk wird man nicht bereuen.
Ehemaliges Lessing Gymnasium
Von unserem Ausgangspunkt an der Gerichtstraße, die wir euch bereits vorgestellt haben, geht es vorbei an der bunten, mit viel Street Art verzierten Panke-Terassen und dem Hinterausgang der Fabrik 23 erst mal durch einen Tunnel unter dem S-Bahnring Richtung Pankstraße. Entgegen der Fließrichtung der Panke, die in ihrem Kanal Richtung Mitte strebt, laufen wir an im Winter natürlich nicht ganz so ansehnlichen Kirschbäumen vorbei und rechterhand steht bereits das erste Baudenkmal, das ehemalige Lessing-Gymnasium, jetzt Herbert-Hoover Schule, eine der nachgefragtesten Sekundarschulen der Stadt.
Zwischen 1884 und 1887 von Hermann Blankenstein erbaut, war das repräsentative Backsteingebäude lange Zeit die einzige höhere Lehranstalt im nördlichen Berlin. Der durchdachte Fassadenaufbau aus gelbem Backstein, dekorativen Terrakotten und roten Ziegeln sowie die großzügige Anlage machen das Gebäudeensemble zu einem schönen Beispiel für die spätklassizistische Backsteinbaukunst der Berliner Schule.
Ex-Rotaprint
Auf der anderen Seite der Pankstraße, vorbei an Mietshäusern aus den 60ern, spazieren wir unter alten Linden weiterhin neben der Panke mit ihrer allgegenwärtigen Entenpopulation Richtung Norden. Wir passieren einen Gedenkstein, der an den Blutmai – die brutale Niederschlagung des Arbeiteraufstands 1929 – erinnert und überqueren die Wiesenstraße.
Linkerhand lohnt sich ein Abstecher in die Bornemannstraße zum ehemaligen Firmengelände von Rotaprint – heute ein Quartier für Künstler und Handwerker mit einer feinen Kantine und sorgsam sanierten denkmalgeschützten Gebäuden wie dem ,,Glaskasten“ und einem kubistisch anmutenden Turm in der Gottschedstraße Ecke Bornemannstraße.
Montag bis Freitag versorgt die links neben der Einfahrt in einem sanierten Flachbau aus den 50ern gelegene Kantine von 12 bis 14:30 Uhr hungrige Mieter und auswärtige Gäste mit Mittagessen, Kaffee und Kuchen. Die Gäste können zwischen zwei Hauptgerichten, wovon eines vegetarisch ist, wählen und sich an selbst gemachtem Kuchen laben. Die Küche legt Wert auf regionale und saisonale Produkte und faire Preise. Bei gutem Wetter stehen Tische und Bänke im Hof. Wer früh dran ist, kann sogar frühstücken.
Nachdem während des Zweiten Weltkriegs große Teile der Rotaprint-Gebäude aus der Gründerzeit zerstört oder beschädigt wurden, entschied man sich in den 50ern gegen eine Rekonstruktion, sondern beauftragte den damals 26-jährigen TU-Studenten Klaus Kirsten mit dem Neu- sowie Umbau des Bestands im Stil der Nachkriegsmoderne. So entstand, in den Worten des Landeskonservators Prof. Helmut Engel, durch „gelungene architektonische Überformung einer aus der Gründerzeit stammenden Quartiersbebauung mit der Formensprache der Moderne (…) eines der besten Architekturbeispiele der 50er Jahre in Berlin.“ Dementsprechend stehen große Teile das Geländes seit 1991 unter strengem Denkmalschutz.
Das selbstverwaltete Ex-Rotaprint wird seit 2009 schrittweise saniert. Die 10.000 qm vermietbare Fläche verteilen sich auf große Werkhallen, kleine Studios und einen 185 qm großen tageweise anmietbaren Projektraum und zwei Gästewohnungen und bietet Räume für Handwerker, Designer, Fotografen und Architekten und Proberäume für Musiker.
Amtsgericht Wedding
Zurück an der Panke folgt links das Amtsgericht Wedding, besonders im Dunkeln ein eindrucksvoller Anblick. Wer auch immer für die Ausleuchtung der Fassade verantwortlich war, hat gute Arbeit geleistet. Zum Glück ist es derzeit in Berlin gegen 16 Uhr dunkel und man kann diesen Anblick bereits am Nachmittag genießen. Das Amtsgericht ist ein arbeitendes Gericht, für zivilrechtliche Vorgänge in Reinickendorf und Mitte zuständig und fungiert zudem als Europäisches Mahngericht für Deutschland.
Wer die imposante Eingangshalle mit Treppenhaus besichtigen will, kann entweder die zweite Staffel Babylon Berlin schauen, die hier gedreht wurde oder in die Vorhalle eintreten. Seit Corona darf man allerdings nicht ohne triftigen Grund die Treppe hinaufgehen, ein Blick nach oben muss genügen. Allein der Hauptflügel des im Stil der Neogotik zwischen 1901 und 1906 nach Plänen von Rudolf Mönnich und Paul Thoemer erbauten Gebäudes ist 120 m lang. Die kunstvolle Fassade, besonders das von zwei Treppentürmen eingefasste Portal und die Pfeiler, sowie die Gewölbearchitektur innen, wirken nicht zufällig wie eine Mischung aus Burg und Kirche - Vorbild waren die Albrechtsburg in Meißen und die spätgotischen Hallenkirchen im Erzgebirge. 1957/1958 wurde das Gebäude auf der Rückseite erweitert, 1987 ein neuer Westflügel gebaut. Der gesamte Gebäudekomplex steht unter Denkmalschutz.
Vor dem Amtsgericht befindet sich der Brunnenplatz mit seiner Spielwiese, einem Ziergarten, einem Spielplatz, Bänken und Tischtennisplatten. Hinter dem Amtsgericht an der Panke liegt eine schöne Liegewiese mit alten Bäumen, von der man auf die gegenüberliegenden Uferstudios blicken kann.
Uferstudios und Uferhallen
Die Uferhallen sind zwei durch die Uferstraße getrennte Areale, von denen nur das heute als Uferstudios bezeichnete Gebäudeensemble tatsächlich direkt am Pankeufer liegt. 1873 baute die Große Berliner Pferdeeisenbahn hier ihren Transportbetriebshof, der mit der Umstellung auf die elektrische Bahn zwischen 1896 und 1902 zum Betriebsbahnhof und Werkstatt für die Straßenbahn umgestaltet wurde. 1898 errichtete der Architekt Joseph Fischer-Dick die mit Sheddächern versehene Straßenbahnhalle und zwischen 1926 und 1931 entstanden nach Plänen von Jean Krämer im Stil der Neuen Sachlichkeit zusätzliche Gebäude. Nach der Nutzung durch die BVG wurde der Betriebsbahnhof und die Werkstatt 2007 stillgelegt.
Das denkmalgeschützte Gebäudeensemble beherbergt seit der Umnutzung 2008 Ateliers, Atelierwohnungen, Tanz- und Proberäumen, Tonstudios, eine Ausstellungshalle, Werkstätten, Gastronomie- und Veranstaltungsräume. Unter anderem hat das Tanzbüro Berlin hier seine Räume und seit 2000 veranstaltet die Tanzfabrik ihre Biennale Tanznacht Berlin.
Die Uferstudios werden von der Tanzfabrik Berlin betrieben, während die Uferhallen inzwischen der Augustus Capital Management GmbH der mit Rocket Internet bekannt gewordenen Samwer-Brüder gehört. Seitdem ist der Erhalt des Kulturstandortes und die Angst vor Vertreibung das große Thema der Künstler in den Uferhallen, die sich 2019 zum Uferhallen e. V. zusammenschlossen, mit dem Ziel das denkmalgeschützte Ensemble zu erhalten und langfristig als Kunststandort zu sichern. Auch in diesem Winter stehen einige Veranstaltungen zu dem Thema auf dem Programm, ein Blick auf die Webseite der Uferstudios lohnt sich.
Hungrig, durstig, kalt? Dujardin, Pförtner und die Kantine im Ex-Rotaprint,
In der Uferstraße 12 bietet Dujardin eine gutsortierte Bar und wechselnde, bodenständige Tagesgerichte sowie selbst gemachten Kuchen und Kaffee in gemütlicher Atmosphäre. Im warmen Licht und auf gemütlichen Sofas und Sitzmöbeln lässt es sich aushalten. Die Preise sind moderat und das Publikum angenehm.
Nur ein paar Schritte weiter in den Uferhallen serviert der Pförtner Kaffee, Limo und Kuchen sowie warme Gerichte von einer kleinen, aber feinen Tageskarte. Die Kantine im Ex-Rotaprint sei auch an dieser Stelle für ein Mittagessen nochmals empfohlen, allerdings nur unter der Woche.
Genug von der Panke: Endhaltestelle Badstraße
Unser Spaziergang endet an der Badstraße, wo sich der wilde Wedding noch in all seiner Glorie zeigt. Es gibt Grillhühnchen, Döner bei Imren und Hamdi Baba, und wer sich auf die andere Seite der Badstraße traut, wo der Pankeradweg seinen Verlauf Richtung Pankow nimmt, landet bei dem Fußballplatz, auf dem die Boateng-Brüder das Kicken lernten und danach im Soldiner Kiez. Nach rechts führt die Badstraße zum S- und U-Bahnhof Gesundbrunnen. Oder man läuft an der schönen Panke zurück Richtung S-Bahnhof Wedding und Wollen Berlin.
Bilder und Text: Maria Seack
Titelbild: Herz und Blut / Jules