Wollen Nachbarschaft: Die Gerichtstraße
Die Gerichtstraße: Liebe auf den zweiten Blick
Nachdem wir euch im letzten Blog den Nettelbeckplatz und die unmittelbare Umgebung von Wollen Berlin im Wedding vorgestellt haben, geht es nun in die Gerichtstraße. Man schlendert von Wollen aus über den Nettelbeckplatz, überquert die Reinickendorfer Straße und schon ist man da. In der Gerichtstraße gibt es einiges zu entdecken, unter anderem historische Industriehöfe, zeitgenössische Kunst, leckeres Essen und die Panke.
Die Gerichtstraße und der Galgenplatz Ihren Namen verdankt die Gerichtstraße nicht dem Amtsgericht Wedding, das ist woanders. 1827 hieß der Gartenplatz noch Galgenplatz und daneben befand sich das Hochgericht. Die darauf zuführende Straße nannte man sinnigerweise Gerichtstraße. Bis 1840 wurden am Hochgericht Urteile gefällt, die dann oft genug gleich am Galgen daneben vollstreckt wurden. Dem Weddingweiser zufolge fand die letzte Hinrichtung am 2. März 1837 statt. Es traf die Witwe Meyer, die ihren schlafenden Mann mit einem Beil erschlagen hatte. Angeblich.
Die Werkstätten des Nordens
Erkunden wir die Gerichtstraße vom Nettelbeckplatz aus, lohnt sich als Erstes ein Gang durch die historischen Gewerbehöfe in der Nr. 23. Die ehemaligen Werkstätten des Nordens entstanden um 1906 als Ensemble aus verschiedenen Fabriken und reichen von der Gerichtstraße bis an die Panke, von einer Seite begrenzt durch die Ringbahn. Nach zwei eher ruhigen Höfen folgen die alten Fabrikgebäude aus Backstein, mit den um die Jahrhundertwende für solche Anlagen beliebten glasierten, weißen Kacheln und allerhand sehenswerter Street Art. Es gibt Werkstätten, Büros und Ateliers, die auch im Rahmen des Senatsprogramms für bezahlbare Künstlerateliers vermittelt werden. Tagsüber kann man bei CrossFit trainieren, im Kauf dich Glücklich Outlet shoppen und im schönen Garten der Panke Panini essen. Nachts gibt es Drinks und Musik im Anita Berber oder im Panke Club und wenn man Glück hat, wird man auf eine Veranstaltung in der Fabrik 23 eingeladen, einer auf sechs Lofts verteilten Eventlocation, die Architectual Digest zufolge zu den „20 fulminantesten Eventlocations der Welt“ gehört. Oder man ist nicht eingeladen, dann kann es schon mal vorkommen, dass es einem die übereifrige Security schwer macht, seiner Wege zu gehen. Verlässt man die Höfe über den Hinterausgang, findet man dort nicht nur den Panke Garten, sondern auch die Panke selbst. Es lohnt sich, kurz stehenzubleiben und einen Blick auf das muntere Flüsschen zu werfen, das aus dem Barnim im Norden Berlins durch Pankow und eben den Wedding fließt, dann unterirdisch durch Mitte mäandert und erst am Schiffbauerdamm an der Spree wieder auftaucht. Der Ort am Hinterausgang der 23 hat sogar einen eigenen Eintrag bei Google Maps unter Panke Terrace. Man kann Enten und Street Art anschauen und gegenüber die Wiesenburg, ein historisches Obdachlosenasyl aus Berlin-typischen roten Backsteinen. Der Panke-Radweg führt in die eine Richtung zu den Uferhallen, dazu mehr im nächsten Blog, in die andere wieder zur Gerichtstraße zurück.
Das Stadtbad Wedding
Schräg gegenüber der Nr. 23 lag einmal das Stadtbad Wedding. 1908 eröffnet, war es eine Institution und für so manchen Weddinger der einzige Zugang zu einer Badewanne. 1999 wurde das Stadtbad als solches geschlossen und nach mehreren Jahren des Leerstands an Künstler und Kreative vermietet. Das Stattbad zog viele, vor allem junge Besucher, zum ersten Mal in den Wedding und die Gerichtstraße, in die Bar im Erdgeschoss und die Partys und Ausstellungen in der ehemaligen Schwimmhalle. Irgendwann war es dann leider vorbei mit der Party und das historische Stadtbad wurde, ohne große Einwände vom Bezirk, abgerissen. Heute steht an seiner Stelle ein trister Neubau mit sogenannten Studentenapartments, die nur jene in die Gerichtstraße locken, die bereit sind, für 18 möblierte Quadratmeter um die 500 € Miete zu zahlen. Der eine Lichtblick in dem Ensemble ist das Café des Schicksals, das mit leckeren Kuchen und Mittagessen lockt und glutenfreie und vegetarische Optionen anbietet.
Die Gerichtshöfe Die denkmalgeschützten Gewerbehöfe in der Nr. 13 haben momentan etwas weniger Charme als gewöhnlich. Die Vorderhäuser in der Gerichtstraße bzw. der Wiesenstraße werden saniert. Trotz der Baustelle sind die Gerichtshöfe begehbar und im dritten Hof findet man bei Lucky’s Eis leckere Milchshakes, American Icecream und Sundaes. Auch der jährliche Tag der offenen Gerichtshöfe wurde trotz Bauarbeiten ausgerichtet. 28 Ateliers und Werkstätten öffneten für das interessierte Publikum, es gab Konzerte und Performances. Die nächste öffentliche Veranstaltung nennt sich Kunst im Karton. 20 ausgewählte Künstler aus den Gerichtshöfen präsentieren Kunstwerke, die eben in Kartons passen. Die ,,kleinste, kürzeste und günstigste Kunstmesse im Wedding“ findet am 6. und 7.12. statt. Mehr Informationen gibt es auf der Internetseite der Gerichtshöfe.
Seit 1983 werden die Räume in den Gewerbehöfen an Künstler vermietet, mit gut 70 Ateliers ist es inzwischen eines der größten Kunstquartiere in Deutschland. 2004 organisierten sich viele der Künstler im Verein Kunst in den Gerichtshöfen e.V. und die Gesobau macht ordentlich Werbung mit ihnen, lässt dabei aber gern unter den Tisch fallen, dass Pläne der Wohnungsbaugesellschaft aus den Gerichtshöfen Studentenwohnungen zu machen, erst nach massivem Protest der Künstler und Einwänden der Bezirksverordnetenversammlung fallen gelassen wurden. Vor 1912 befand sich auf dem Grundstück zwischen Gerichtstraße und Wiesenstraße eine damals typische Mischung aus Fabrikgebäuden, Remisen und Pferdeställen. Die Chemische Fabrik J.D. Riedel AG stellte Arzneimittel, Chinin und Grundstoffe für die Glühstrümpfe der Gaslaternen Berlins her. Ungefähr dort, wo sich heute der Aufgang 7 befindet, lagerten die Chemikalien im sogenannten Aether-Keller. 1912 wichen die alten Strukturen der Industriestätte Nordhof, dem vierstöckigen Gebäudekomplex aus 6 Höfen mit 8 Aufgängen, den wir heute sehen. Mit seinen glasierten Ziegeln, großen Fenstern und elektrischen Aufzügen war er ziemlich modern für seine Zeit und beheimatete unter anderem eine Likörfabrik, ein Büro der AOK und die AEG-Apparatefabrik. Auch das Vorderhaus in der Gerichtstraße war ein für damalige Verhältnisse großes und gut ausgestattetes Wohnhaus. Leider stürzte der Mittelteil des Gebäudes 1945 ein, angeblich nachdem ein Hitlerjunge in den letzten Tagen des 2. Weltkriegs hier mit seinem Geschütz explodierte. Nach über 70 Jahren wird diese Lücke im Rahmen der Sanierung jetzt geschlossen und hoffentlich dem historischen Vorbild entsprechend wieder aufgebaut.
Kulinarisches in der Gerichtstraße
In der Gerichtstraße muss niemand hungrig bleiben, nicht nur dank des bereits erwähnten Café des Schicksals und dem Panke Garten. Das Louis Alfons serviert saftige Burger und Süßkartoffelpommes in stilvollem Ambiente drinnen und dem Flair der Gerichtstraße draußen. Für ein Getränk oder Kaffee danach empfiehlt sich der Gang auf die gegenüberliegende Straßenseite ins Forsberg oder das neue kleine Café daneben. Wer italienisches Essen liebt, der wird im Sotto glücklich. Technisch betrachtet liegt das Sotto nicht in der Gerichtstraße, sondern in der Neuen Hochstraße, aber fast an der Ecke. Es gibt Antipasti, sowie vegane und vegetarische Pizza und Pasta, die so lecker sind, dass man auch als Omnivore komplett auf seine Kosten kommt.
Der Humboldthain
Wenn man durch die Gerichtshöfe spaziert ist, landet man fast am S-Bahnhof Humboldthain. Zum Abschluss der Erkundungstour bietet sich ein Spaziergang durch den großen Park desselben Namens an. Das Sommerbad macht momentan Winterpause, man kann aber durch den Rosengarten flanieren, durchatmen und vom ehemaligen Flakturm aus einen fantastischen Ausblick über die Stadt genießen.