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Wedding Kolumne - der Nettelbeckplatz: Tanz den Aufschwung mit mir

Wedding Kolumne - der Nettelbeckplatz: Tanz den Aufschwung mit mir

Nachdem wir euch im letzten Blog die Lindower Straße und das neue Zuhause von Wollen Berlin im Wedding vorgestellt haben, geht es heute in unsere unmittelbare Nachbarschaft. Die Lindower Straße mündet in den Nettelbeckplatz und rund um diesen lässt sich einiges sehen und erleben.

Die Schönheit des Nettelbeckplatzes wurde bereits in vielen Liedern besungen. Ok, das ist nicht ganz die Wahrheit. Auf dem Nettelbeckplatz gibt es allerhand Müll, Ratten und zerbrochene Bierflaschen. Eigentlich schlafen zu jedem beliebigen Zeitpunkt mindestens zwei Leute auf den Baumscheiben oder Bänken und mindestens vier betrinken sich. Der Rest holt Essen oder Kaffee und kreuzt flotten Schrittes den Platz auf dem Weg zu einer einladenderen Lokalität. Vielleicht möchte man nicht auf dem Nettelbeckplatz verweilen und erst recht keinen Schluck aus dem Trinkbrunnen nehmen, aber um ihn herum wächst die Stadt. Das alte Krematorium heißt jetzt Silent Green und bietet Kunst, Kultur und leckeres Essen. Dank dem Restaurant Ernst gibt es einen Michelin-Stern am Nettelbeckplatz. Im Julius und im Bistrot Mirage serviert man guten Kaffee und Snacks und auf der anderen Seite der Reinickendorfer Straße lockt das Contemporary Savvy mit Kunst und Veranstaltungen. Wer es traditioneller mag, bekommt im Magendoktor rund um die Uhr Schnaps und Bier zu Weddinger Preisen. Lustige Anekdoten und Alt-Berliner gibt es umsonst dazu.

Die vielen Veränderungen des Nettelbeckplatzes

Die Worte ,,Komm, wir setzen uns auf den Nettelbeckplatz!“ hat man selbst als langjähriger Weddinger eher selten gehört. Aber was ist eigentlich das Problem? Auf den ersten Blick haben wir hier einen zentral gelegenen, verkehrsberuhigten Platz mit Kopfsteinpflaster, es gibt einen Brunnen und schattenspendende Bäume. Dienstags und freitags tagt ein kleiner Markt. Man kann bei Bolu oder im Späti einkaufen, Döner oder Pho essen und der Nettelbeckplatz hat sogar seine eigene Kita. Allerdings werden die Kleinen durch Zäune und Sichtschutzplanen vor dem Anblick desselben geschützt.

Im Zentrum des alten Wedding gelegen und 1884 nach dem Verteidiger Kolbergs, Joachim Nettelbeck, benannt, ist der Nettelbeckplatz historisch gesehen eine geschäftige Verkehrskreuzung. 1893 wurde die Kreuzung bepflanzt, doch nachdem die Stadt Berlin beschlossen hatte, der Pflegeaufwand für die Pflanzen sei zu hoch, wichen die Büsche 1921 einem Haltekiosk für die hier fahrenden Straßenbahnen. Vier verschiedene Linien kreuzten den Platz, als er in den 50ern zu einem Kreisverkehr umgestaltet wurde. Fußgänger waren nicht erwünscht und wären wohl auch schnell unter die Räder gekommen. 1981 bis 1987 erhielt der Nettelbeckplatz seine heutige Form. Die Reinickendorfer Straße wurde umgeleitet, die Gerichtstraße geteilt und die Fahrbahn zugepflastert. In die Mitte kam der Brunnen mit dem schönen Namen Tanz auf dem Vulkan. Aus einem runden Brunnenbecken erhebt sich ein etwa zwei Meter hoher "Vulkan" an dessen Fuß eine lebensgroße Bronzefigur Klavier spielt und fünf weitere Figuren stehen obendrauf und singen und tanzen. Die letzte Veränderung erfolgte 2005-2006 in Form der Sitzelemente um die Bäume und einiger Rabatten bzw. Grünflächen. Inwiefern diese Veränderungen den Platz attraktiver machten, darüber lässt sich streiten. Die roten Bänke um die Bäume sind schmutzig und darunter sammelt sich der Müll, genau wie im Becken des Brunnens. Trotz der Umgestaltungen hat der Nettelbeckplatz die Atmosphäre eines Bahnhofsvorplatzes behalten. Man reist durch, kommt vorbei, quert ihn, auf dem Weg woanders hin – zum Beispiel zum Silent Green.

Silent Green: Kunst und Kuchen im Krematorium

Das alte Krematorium Wedding in der Gerichtstraße, einige Meter vom Nettelbeckplatz entfernt, heißt seit 2015 Silent Green und bezeichnet sich selbst als ,,interdisziplinäres Kulturquartier“. Auch außerhalb der Veranstaltungen, Konzerte und Ausstellungen, die hier regelmäßig stattfinden, lassen sich auf dem tatsächlich wunderbar grünen, ruhigen Gelände angenehme Stunden verbringen. Die hauseigene Gastronomie Mars serviert Brunch, Lunch, Dinner und guten Kaffee. Das Little Mars, der Imbiss im Torbogen, bietet Snacks, Eis und Getränke. Je nach Uhrzeit hat man Chancen auf einen der Tische unter pink und weiß im Wind flatternden Hula-Sonnenschirmen. Ist alles besetzt, bleibt immer noch die schöne Wiese. Das Silent Green ist tatsächlich eine ruhige, grüne Oase, nur wenige Meter vom Nettelbeckplatz entfernt.

Das eindrucksvolle Krematorium wurde 1909/10 vom Verein für Feuerbestattung errichtet. Das denkmalgeschützte Gebäude besteht aus einer achteckigen, 17 Meter hohen Kuppelhalle und links und rechts zwei Flügeln, die einen ebenfalls achteckigen Innenhof umschließen. Dazu gehörte der Urnenfriedhof, der heute vom Silent Green getrennt links daneben liegt. Die Stadt Berlin nahm das Krematorium 2010 aufgrund von Überkapazitäten außer Betrieb. 2013 begannen die Umbauarbeiten und seit 2015 finden in dem historischen Gebäude Konzerte, Lesungen und Konferenzen statt. Es gibt Ausstellungen und Filmvorführungen und zu dem alten Gebäude sind eine unterirdische Betonhalle und ein Gebäude mit Büros und Konferenzräumen hinzugekommen. Man findet hier u.a. das öffentlich zugängliche Filmarchiv des Arsenal Instituts für Film und Videokunst und die Räume der transmediale und des Musicboard Berlin.

Contemporary Savvy: Kunst im Spielcasino

Noch mehr Kunst gibt es gegenüber vom Nettelbeckplatz im Brutalismus- Gebäude an der Reinickendorfer Straße Ecke Gerichtstraße. Hier residierte zuvor ein Spielcasino. Doch die Zeiten ändern sich und im September 2020 zog der Kunstraum Savvy Contemporary ein. Durch die großen Fenster können Neugierige, die von dem großen Schriftzug aus im Wind glitzernden Pailletten angelockt wurden, in die Galerie schauen. Das Projekt wurde 2009 gegründet und im Fokus steht die kritische Auseinandersetzung mit Fragen zeitgenössischer künstlerischer Forschung.

Hier finden Ausstellungen statt, Performances, Workshops und Vorträge. Das Savvy beschreibt sich selbst auch als Ort der Gastlichkeit und des Teilens von Ideen und auch Kulinarischem. Ein Blick in das Programm lohnt sich.

Ernst, Julius und Mirage Bistro: Ernsthafte Menüs und leckere Snacks

Das Restaurant Ernst ist selbst internationalen Foodies ein Begriff, es hat einen Michelin-Stern und jede Menge begeisterte Presse. Vor dem Ernst fand man auch hier ein Spielcasino, typisch Wedding eben. Momentan serviert das Ernst das Summer Tasting Menu für 195 Euro pro Person, buchbar online und im Voraus. Gegenüber geht es beim kleinen Bruder Julius etwas zwangloser zu. Walk-ins fürs Carte-Blanche Dinner sind, je nach Kapazität, willkommen und tagsüber gibt es exquisiten Kaffee und Gebäck. Das Lokal in einem Eckhaus aus den 50ern erinnert mit seinen großen Fenstern auf zwei Seiten an Nighthawks. Alles ist sehr rechtwinklig, die Gardinen aus Leinen, Möbel und Dekor hell, minimalistisch und auf Qualität bedacht.

Nach dem Vormieter, dem Schönheitssalon Mirage benannt, serviert das Mirage Bistro direkt am Nettelbeckplatz französische Snacks und Kaffee. Es gibt eine Frühstücks- und Mittagskarte, abends Tapas und am Sonntag Brunch, dazu Live-Konzerte, Filmvorführungen und Stammtische. Die kleine Ecke mit den gelben Stühlen um das Mirage herum, ist ein netter Zufluchtsort am Nettelbeckplatz. Hier lässt es sich aushalten, man hat einen guten Blick auf das Drumherum.

Hungrig muss am Nettelbeckplatz niemand bleiben, auch wenn das Budget für das Ernst nicht reicht, das Mars zu voll und das Mirage zu hip ist. Mr. Hoang serviert solide, vietnamesische Küche zu moderaten Preisen und hat eigentlich immer einen Tisch frei. Auf der kleinen Terrasse lässt sich gut sitzen, gleich am Nettelbeckplatz und doch weit genug von ihm entfernt, um sich ungestört auf Sommerrollen und Nudelsuppe konzentrieren zu können.

Ein Schnaps zum Schluss: Der Magendoktor

Seit 1975 hatte der Magendoktor nicht mehr geschlossen. ,,Tag und Nacht geöffnet“ steht draußen unter einem Bild von zwei eng umschlungen tanzenden Berlinern. Dank Corona musste der Doktor dann doch schließen und man nutzte die Zwangspause für einige Verschönerungen, neue Böden etwa und einen neuen Anstrich der Toiletten. Die beste Jukebox Weddings und die altberliner Preise sind geblieben. Hier trifft sich eine Mischung aus manchmal zwielichtigen Stammgästen, Studenten und Neu-Weddingern, die mal was Authentisches erleben wollen. Wer sich also in der Umgebung des Nettelbeckplatzes befindet und dringend ein Bier, einen Schnaps und eine Unterhaltung braucht, dem sei der Magendoktor ans Herz gelegt.

Links:

Wollen: https://wollen-berlin.de/ letzter Blog

Silent Green https://www.silent-green.net/

Julius: https://www.exploretock.com/juliusberlin/

Mirage: http://mirage.berlin/

Savvy: https://savvy-contemporary.com/

Text und Bilder: Maria Seack

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